Zwischen Zöllen, Bürokratie und Davoser Bergluft
Die grosse Illusion vom freien Welthandel
Seit über drei Jahrzehnten versammelt sich in Davos Jahr für Jahr das intellektuelle, politische und wirtschaftliche Spitzenpersonal der Welt. Man spricht von „vernetztem Denken“, „nachhaltigem Wachstum“ und natürlich vom Freihandel, dem heiligen Gral der Globalisierung. Und doch stellt sich eine Frage, die immer lauter in den Tälern hallt: Warum gibt es bis heute keinen fairen Welthandel?
Trotz allen Beteuerungen ist das globale Handelssystem nach wie vor von ungleichen Spielregeln, ökonomischen Verzerrungen und massiver Doppelmoral geprägt. Länder, die unter hohen Umweltstandards, Arbeitnehmerschutz und demokratischer Kontrolle produzieren, stehen im Wettbewerb mit Staaten, die ihre Luft, Flüsse und Kinderarbeit bedenkenlos in den Export einpreisen, oder besser… nicht einpreisen.
Was als „freier Markt“ verkauft wird, ist in Wirklichkeit ein globales Tauschgeschäft, bei dem der Billigste gewinnt nicht der Beste. Derjenige, der Standards unterläuft, nicht der, der sie einhält.
In dieser Gemengelage erscheinen Zölle plötzlich nicht mehr als blosses Instrument des Protektionismus, sondern als mögliche Antwort auf eine strukturelle Schieflage. Währenddessen baut die EU mit ihren Vorschriften ein Regulierungsgebirge, das selbst solide Unternehmen ins bürokratische Stolpern bringt. Und das WEF? Produziert in der Zwischenzeit gut gemeinte Absichtserklärungen, gedruckt auf Recyclingpapier.
Der Mythos vom bösen Zoll
Zölle gelten im politischen Diskurs der westlichen Welt als rückwärtsgewandtes Werkzeug, als Angriff auf die Globalisierung, als Zeichen von Populismus. Doch diese Sichtweise ist naiv oder bequem.
Denn in Wahrheit sind Zölle nicht per se „böse“. Sie sind ein Mittel. Und wie jedes Mittel hängt ihre Wirkung davon ab, wofür sie eingesetzt werden.
Wenn Zölle erhoben werden auf Produkte, deren günstiger Preis auf Umweltzerstörung, Kinderarbeit oder staatlich subventionierten Dumpingstrukturen beruht, dann sind sie kein Zeichen von Abschottung, sondern von ökonomischer Ehrlichkeit. Denn ein Preis, der die tatsächlichen Kosten nicht abbildet, ist nichts anderes als eine versteckte Lüge.
Es wäre an der Zeit, die Diskussion neu zu führen: Nicht ob Zölle sinnvoll sind, sondern wofür. Als Korrekturmassnahme nicht als Dauerlösung. Und schon gar nicht als politisches Muskelspiel.
Dass gerade Trump diese Debatte angestossen hat, macht sie nicht weniger berechtigt, es erklärt nur, warum sie reflexartig abgelehnt wurde.
Die EU und die unsichtbaren Zölle
Während Zölle sichtbar sind, messbar, bezifferbar – spielen sich in der EU ganz andere Dinge ab: Regelwerke, Richtlinien, Normen, Zertifizierungspflichten.
Was aussieht wie Verbraucherschutz, Produktsicherheit oder Nachhaltigkeit – ist in Wahrheit oft nichts anderes als ein wirtschaftspolitisches Bollwerk gegen Konkurrenz von aussen.
Wer als Drittland wie die Schweiz in die EU exportieren will, sieht sich mit einem Dickicht an Vorschriften konfrontiert: CE-Zeichen, REACH, MDR, RoHS, Ökodesign, GVO-Verbot, Lieferkettenregeln. Keine klassischen Zölle – aber der Effekt ist derselbe: Der Zugang wird teuer, kompliziert und teilweise unmöglich.
Und das besonders Perfide: Die betroffenen Länder ob Schweiz, USA oder UK dürfen nicht mitentscheiden, müssen aber mitmachen.
Diese „verdeckten Zölle“ haben sich zu einer hochwirksamen ökonomischen Steuerungsmaschinerie verselbstständigt, die kaum demokratisch legitimiert ist. Die Kommission erlässt und die Mitgliedstaaten nicken ab. Das Parlament? Spielt selten eine Hauptrolle.
Das WEF und die Davoser Bergluft
In Davos treffen sich jene, die es wissen müssten oder zumindest vorgeben, es zu wissen: die Spitzen der globalen Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Medien. Man redet über Klimaziele, Geschlechtergerechtigkeit, Dekarbonisierung, inklusive Märkte und soziale Verantwortung.
Doch während man sich dort gegenseitig mit Applaus, Panels und veganem Fingerfood feiert, verändert sich draussen wenig.
Der globale Süden produziert weiterhin unter Bedingungen, die im Westen zu Protesten führen würden. Die Lieferketten bleiben schmutzig, die CO₂-Bilanz wird in Excel-Schönwettertabellen exportiert und die Schlagzeilen der Konzerne glänzen heller als ihre Bilanzen.
Das WEF versammelt die Architekten der globalen Ordnung aber es korrigiert sie nicht. Es veredelt sie rhetorisch, mehr nicht.
Die Bürokraten in Brüssel und die Exportstrategen in Peking beobachten das mit einem stillen Lächeln. Und der Steuerzahler im Westen? Der zahlt doppelt: erst für die Regulation, dann für die globalen Folgekosten.
Was wäre ein fairer Welthandel?
Ein fairer Welthandel wäre keiner, in dem alle das Gleiche zahlen, sondern einer, in dem alle für die gleichen Werte zahlen.
- Wer Umweltschutz betreibt, darf dadurch nicht teurer und unattraktiver werden.
- Wer Sozialstandards einhält, darf dadurch nicht Marktanteile verlieren.
- Und wer exportiert, ohne die echten Kosten zu tragen, muss dafür zur Kasse gebeten werden.
Ein fairer Welthandel verlangt klare Spielregeln, ehrliche Preise und die Bereitschaft, zwischen „Markt“ und „Macht“ zu unterscheiden.
Vielleicht wären Zölle in diesem Fall nicht Ausdruck von Rückschritt sondern von Zivilisation. Und Bürokratie nicht ein Instrument des Technokraten, sondern des Bürgers.
Aber dafür müsste man Mut haben. Und den vermisst man in Davos wie in Brüssel leider zu oft.