Wie sich die Welt veränderte – und niemand es kommen sah
Als Russland tatsächlich in die Ukraine einmarschierte, war ich überrascht. Noch mehr überraschte mich, dass es nach drei Wochen nicht die gesamte Ukraine besetzt hatte. Viele hatten angenommen, die russische Armee sei eine nahezu unaufhaltsame Kriegsmaschinerie, die den Widerstand Kiews rasch brechen würde. Doch dann zeigte sich: So schlagkräftig, wie es auf dem Papier aussah, war sie offenbar nicht.
Aber wenn Russland mit seiner angeblich zweitstärksten Armee der Welt die Ukraine nicht in wenigen Wochen einnehmen konnte, warum kommt die Ukraine dann nach drei Jahren und mit massiver westlicher Unterstützung auch nicht wirklich weiter? Irgendetwas stimmt da nicht. Entweder wird Russlands Schwäche überschätzt oder die Stärke der Ukraine (trotz NATO-Waffen, Geheimdienstinfos und Milliardenhilfen) überschätzt. Oder beides.
Dabei hätte es gar nicht so weit kommen müssen. Noch unter Angela Merkel war die Gefahr einer russischen Invasion in die Ukraine praktisch null. Das hatte einen einfachen Grund: Merkel hielt an einer klaren Linie fest, keine NATO-Mitgliedschaft für die Ukraine, keine unnötige Konfrontation mit Russland. Trotz der Annexion der Krim 2014 wurde die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Moskau nicht vollständig abgebrochen. Nord Stream 2 wurde weiter vorangetrieben, Sanktionen blieben auf einem moderaten Niveau. Die Devise lautete: Russland als Handelspartner halten, nicht als Feind behandeln.
Mit dem Ende der Merkel-Ära änderte sich dieser Kurs radikal. Donald Trump hatte zwar Nord Stream 2 kritisch gesehen und vor Europas Energieabhängigkeit von Russland gewarnt, doch er hielt sich militärisch zurück. Er beliess es bei Waffenlieferungen an die Ukraine, ohne einen offenen Konflikt mit Moskau zu riskieren.
Russland hatte sich wahrscheinlich Hoffnungen gemacht, nach der Krim-Krise und dem Syrienkrieg wieder als akzeptierter Player in der Weltpolitik aufzutreten. Unter Trump gab es zumindest Signale, dass eine Normalisierung denkbar wäre – trotz harter Rhetorik. Doch mit Joe Biden kam der Bruch: Plötzlich wurde die Ukraine als zukünftiges NATO-Mitglied ins Spiel gebracht, während die Sanktionen gegen Russland drastisch verschärft wurden.
Das war ein klares Signal an den Kreml: Russland sollte wirtschaftlich isoliert werden. Die Biden-Administration, stark beeinflusst von neokonservativen Falken wie Victoria Nuland, wollte eine geopolitische Weichenstellung. Der Sturz von Janukowitsch 2014 wurde als „demokratische Revolution“ gefeiert, doch die Eskalation in der Ostukraine wurde nicht nur in Kauf genommen – man könnte sogar sagen, sie wurde aktiv vorangetrieben.
Als Russland 2022 dann einmarschierte, reagierte der Westen mit beispiellosen Massnahmen. Russische Devisenreserven wurden eingefroren, das Land aus dem SWIFT-System geworfen, der Handel drastisch beschnitten. Gleichzeitig wurde die Ukraine mit Waffen und Milliardenhilfen versorgt, während es in Europa hiess, man werde „Russland ruinieren“. Doch je länger der Krieg dauerte, desto grösser wurde der Unmut, vor allem in den USA.
Während die Biden-Administration den Krieg als Kampf der Demokratie gegen die Tyrannei darstellte, stellte sich in den USA eine wachsende Zahl von Republikanern die Frage: Warum soll der amerikanische Steuerzahler einen endlosen Krieg finanzieren, bei dem es kaum sichtbare Fortschritte gibt?
Mit Donald Trumps Rückkehr ins Weisse Haus eskalierte der Konflikt nun auch diplomatisch: Bei seinem Treffen mit Selenski machte er unmissverständlich klar, dass sich die Spielregeln geändert haben. Keine automatischen Schecks mehr, keine bedingungslose Unterstützung. Selenski, der auf Waffen und Sicherheitsgarantien hoffte, traf auf einen Trump, der stattdessen einen „Deal“ mit Russland will. Die Fronten sind verhärtet, Europa ist entsetzt, und in der Ukraine wächst die Sorge, dass der wichtigste Verbündete sich abwendet.
Was bleibt, ist eine grundlegende Frage: Hätte die Eskalation vermieden werden können? Noch unter Merkel war ein offener Krieg kein Thema, weil sie die rote Linie – keine NATO für die Ukraine – beibehielt. Erst die Biden-Administration änderte diesen Kurs, wollte Russland wirtschaftlich isolieren und die Ukraine militärisch aufrüsten.
Nun könnte Trump erneut alles umkrempeln, mit unklaren Folgen. Wird er Putin zu einem für die Ukraine bitteren Frieden zwingen? Wird sich Russland als Sieger fühlen? Oder endet alles in einer neuen, instabilen Pattsituation?
Die Geschichte dreht sich weiter – und mit ihr die geopolitischen Machtverhältnisse.