Die Rechten sind so stark, weil so viele Menschen erschöpft sind?

Eine kritische Analyse

Wieder einmal meldet sich ein Soziologe zu Wort, der uns mit akademischer Distanz zu erklären versucht, warum die Welt so funktioniert, wie er es sich in seinen Theorien ausmalt. Oliver Nachtweys These, dass der Aufstieg der Rechten auf eine allgemeine ‚Erschöpfung‘ der Menschen zurückzuführen sei, erscheint dabei nicht nur verkürzt, sondern auch bequem. Es ist immer einfach, grosse gesellschaftliche Verschiebungen mit abstrakten Begriffen zu erklären – schwieriger ist es, sich mit den realen politischen Ursachen auseinanderzusetzen. Diese Analyse spiegelt meine eigene Sichtweise wider, dass nicht blosse Erschöpfung, sondern Ignoranz der etablierten Parteien die treibende Kraft hinter solchen Verschiebungen ist.

Zusammenfassung des Artikels:
Soziologe Oliver Nachtwey erklärt den Aufstieg rechter Bewegungen mit der „Erschöpfung“ der Menschen. Er argumentiert, dass steigende Unsicherheiten, wirtschaftlicher Druck und eine zunehmende Komplexität des Lebens viele überfordern. Diese Erschöpfung führe dazu, dass einfache, klare Botschaften rechter Parteien besonders ansprechend wirken. In seinem Buch „Gekränkte Freiheit“ beschreibt Nachtwey gemeinsam mit Carolin Amlinger, dass Menschen zunehmend gesellschaftliche Regeln als Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit empfinden. Diese Entwicklung mache sie anfälliger für autoritäre und rechte Positionen.
Link zum Artikel:https://www.tagesanzeiger.ch/530691984186

Mein Kommentar:

„Politik verliert Generationen nicht durch Skandale, sondern durch Ignoranz. In den 70ern verloren die Konservativen eine Jugendgeneration, weil sie Vietnam, Popkultur und gesellschaftliche Öffnung nicht ernst nahmen. Heute passiert das Gegenteil: Die progressive Elite beschäftigt sich mit akademischen Debatten, aber nicht mit steigenden Lebenshaltungskosten, Abstiegsängsten oder Überlastung im Alltag. Wer sich nicht repräsentiert fühlt, sucht sich neue politische Alternativen – damals nach links, heute nach rechts. Ein Blick in die Geschichte zeigt: So einfach ist das.“

Repliken zu meinem Kommentar:

B. Erwin:

„Perfekt kommentiert, sehe es genauso und das in ganz Europa.“

Michelle Hufschmid-Lim:

„Kaufkraft ist eines der drei Hauptthemen der SP. Warum sprechen Sie das nicht an?“

S. Baumann:

„Ich frage Sie: Wer hat z. B. das Referendum gegen die Verschärfung des Mietrechts ergriffen? Wer kämpft gegen weitere von bürgerlicher Seite geplante Lockerungen des Mietrechts zulasten der Mieter? Wer kämpft für gerechtere Löhne? Wer setzt sich für die Arbeitnehmerseite bei der Gestaltung neuer Gesamtarbeitsverträge ein? Wer kämpft gegen die geplante Deregulierung des Arbeitsrechts? Wer kämpft für eine stärkere Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen? Wer fordert die Lockerung von Importmassnahmen wie z. B. das Zulassen von Parallelimporten? Es sind sicher nicht die Rechtsaussenparteien, sondern eben die von Ihnen gescholtene progressive Elite, welche den täglichen Kampf für bessere Lebensbedingungen führt.“

müllermallersdorf:

„Ich war in den 80er/90ern ein Fan von SP und Grün. Ich glaubte wirklich, die machen die Welt besser und unterstützte sie, soweit mir das als Bürgerin möglich war. Doch irgendwann nach dem Millennium fing das an zu kippen und in den 10er Jahren erlebte ich in einem persönlichen Kampf und einigen direkten Kontakten mit Politikern dieser ‚Couleur‘, wie egal ich (und viele andere) ihnen als steuerzahlende und rechtschaffene Bürger/innen war, während Hausbesetzer, die ein ganzes Quartier terrorisierten, politischen Welpenschutz genossen. Wir wurden sogar von namhaften Personen, die noch heute im Amt sind, regelrecht verspottet… Das war dann der Punkt, wo bei mir politisch ‚der Schalter kippte‘. Schliesslich finanziere ich bzw. wir alle diese Personen mit unseren Steuern und ich habe keine Lust mehr, für Politiker zu zahlen, die an mir vorbei politisieren.“

Martin von Allmen:

„Aber wenn man das nicht wahrnehmen will, dann ist das nicht ganz einfach. Dann die Dauerfakes und Hetze von Rechts. Das ist eine ohnmaechtige Situation.“

Was lernen wir daraus?

Die Diskussion zeigt, wie politische Parteien über die Jahrzehnte hinweg immer wieder den Kontakt zu wachsenden Wählergruppen verlieren. Der Rechtsruck ist kein Mysterium, sondern eine logische Folge von Wahrnehmungslücken. Wenn sich Parteien mehr mit Symbolpolitik als mit existenziellen Sorgen der Bevölkerung beschäftigen, suchen diese neue politische Alternativen. Die zentrale Frage bleibt: Werden linke Parteien es schaffen, sich wieder mit den realen Sorgen der Menschen zu befassen – seien es wirtschaftliche Probleme, Meinungsfreiheit, der gesellschaftliche Wandel oder die Migration – oder bleibt die politische Verschiebung nach rechts bestehen?

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